KORRESPONDENZAUSSTELLUNGEN Körper
Agata Madejska und Pio Rahner / Marita Bullmann
01.06.2019 — 09.06.2019
Halle 6
UNESCO-Welterbe Zollverein
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Agata Madejska verbindet in ihrer künstlerischen Praxis Fotografie, Objekt und Skulptur zu einer komplexen, präzise aufeinander abgestimmten Rauminstallation. Die klare visuelle Formensprache führt zu einer starken Präsenz von Objekt und Bild. Dabei rückt sie die Materialität der Arbeiten in den Fokus ihres Interesses und spielt mit ihrer semantischen Mehrdeutigkeit. Ihre Arbeiten thematisieren die politische Symbolik und Rhetorik, die in Objekten und gesellschaftlichen Strukturen verborgen sind. Die kritisch abstrahierende Auseinandersetzung mit Geschichte und Repräsentation unterläuft existierende Deutungsordnungen sowie deren kulturelle, soziale und politische Funktionen mit künstlerischen Mitteln.
„Mistakes Were Made“ (2018) behandelt das Zusammenleben von Menschen und verbindet die körperliche und die auditive Wahrnehmung zu einem Erfahrungsraum. Die Fotografien aus der Serie „Rise“ (2018) zeigen den für den Menschen schädliche Smog, der durch die Konzentration von Ozon und Photooxidantien in Verbindung mit den UV-Strahlen der Sonne entsteht. Die Masken von „Host and Guest“ (2019) können von den Besucher*innen am Eröffnungsabend aufgesetzt werden.
Alle drei Arbeiten behandeln die vieldeutige Lesbarkeit von Bildern, Objekten und Sprachen.
Unser Alltagsleben und unsere Handlungs- und Lebensräume sind von unserem Verhältnis zum Gegenstand bestimmt. Die Gegenstände in den Arbeiten von Pio Rahner scheinen aus unserer Alltagswelt zu stammen. Die Objekte sind jedoch keine Readymades und bilden auch keine konkreten Gegenstände ab. Der offensichtlich artifizielle Charakter verweist auf Funktionalität, Disfunktionalität, Verwendung und Verwandlung. Die Objekte, Materialien, Formen und die darin verborgenen Handlungen des täglichen Lebens werden entkontextualisiert und neu definiert.
Dieses Prinzip der Neuordnung der Wirklichkeit zeichnet auch die Arbeiten "Fenster" und "Podien" aus. Wenngleich sie in ihrer Formsprache eng mit der minimalistischen Kunst der 1960er Jahre verbunden sind, verändern sie ihre im Titel angedeutete Referenzialität durch ihre Positionierung im Raum.
In den „Fenstern“, die in ihrem Format die Größe der vorhandenen Fenster aufgreifen, zeigt sich bereits in der Konstruktion die der Arbeit zugrundeliegende Variabilität und Sinnverschiebung. Das Entstehen der skulpturalen Form ist am Objekt ablesbar und nachvollziehbar. In „Podien“ ist auf eine humorvolle Weise die Nachbarschaft zum Design, zur seriellen und handwerklichen Produktionsweise impliziert.
Agata Madejska (1979 in Warschau) studierte an der Folkwang Universität der Künste und am Royal College of Art in London. Sie erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen, darunter den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2011 für junge Künstlerinnen und Künstler. Ihre Arbeiten sind in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland vertreten, u. a. in der Kunsthalle Wilhelmshaven, im Musée des Beaux-Arts (Rouen), im Kunsthaus NRW (Aachen), im Albertinum (Dresden), im Museum Folkwang (Essen), in der Tate Modern (London), im Museum Morsbroich (Leverkusen), in der Kestner Gesellschaft (Hannover), in Aperture (New York), im ICA (London) und im Palais de Glace/Palacio National de las Artes (Buenos Aires) ausgestellt. Agata Madejska lebt und arbeitet in London.
Pio Rahner (1982) studierte Fotografie an der Folkwang Universität der Künste, wo er 2015 das Diplom 2015 mit Auszeichnung absolvierte. Für sein Werk, in dem er unterschiedliche künstlerische Medien zu Installationen im Raum verbindet, hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten. 2016 war er als Stipendiat des Artist-in-Residence Programms in Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika. Mit seinen Arbeiten ist er in Ausstellungen im In- und Ausland vertreten. 2017 war er u. a. Teil der Gruppenausstellung „Yam Wekre“ im Nationalmuseum von Burkina Faso in Ouagadougou. Pio Rahner lebt und arbeitet in Bremen.
Agata Madejska
„Mistakes Were Made“, 2018, Installation, Stoff, Stahl, Nylonschnur, PVC, Lautsprecher, Kabel, Mediaplayer, Tonaufnahme (15 min im Loop), ca. 675 x 200 x 330 cm
„Rise“, 2018, 3 C-Prints, Diasec matt, 160 x 121 cm
“Host and Guest”, 2019, Papiermasken
Pio Rahner
„Podien“, 2019, Installation, 13-teilig, Kistensperrholz, Tackernadeln, Sportschuhe
„Fenster“, 2018/19, Installation, Holz, Aluminium, Spanngurte, Maße und Stückzahl variabel
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Marita Bullmanns Arbeiten sind Auseinandersetzungen mit alltäglichen Gegenständen: vertrauten Materialien, Handlungen, Räumen und Orten. Performativ begibt sie sich auf die Suche nach einer direkten Begegnung zwischen Körper und Raum. Ihre Arbeitsweise lässt sich als ein zeitlich ephemer, orts- und situationsspezifischer Prozess begreifen. Mit ihren Handlungen kreiert sie eigene Realitäten und Szenarien, die das Bewusstsein für Gegenstand, Material, Körper und Raum verstärken. Visuelle, zeitliche, haptische oder akustische Elemente bestimmen die Wirkung und die Wahrnehmung ihrer Darbietung. Die Art und Weise, wie sie abstrahierende Deutungen schafft, erlaubt die uns umgebenden Dinge neu wahrzunehmen und zu betrachten. Die Interpretation erfolgt im Erleben. Die von ihr verwendeten Gegenstände und Materialien sind keineswegs neutral, sondern verbinden sich mit unserer sinnlichen und emotionalen Erlebnis- und Erfahrungswelt. Ihre Intention ist es, die gewohnten Seh- und Wahrnehmungsmechanismen fern von kulturellen Prägungen zu beeinflussen und einen neuen ‚Raum‘ zu schaffen, der uns den Akt des Sehens bewusst werden lässt. Mit den von ihr konstruierten Ereignissen verbindet sie eine Suche nach Bildern und Handlungen, die die Phänomene der Merkwürdigkeit und Eigenartigkeit sichtbar machen.
Marita Bullmann (1982) ist Performance-, Installations- und Fotokünstlerin. Sie studierte Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen und Performance Art an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem bei Adina Bar-On. 2011 schloss sie ihr Studium mit Auszeichnung ab.
Seit 2006 zeigt Marita Bullmann ihre künstlerischen Arbeiten in ganz Europa, Israel, Russland, Singapur, Thailand, USA, Chile, Argentinien, Brasilien, Bangladesch, Macau, den Philippinen und China. Zusammen mit Boris Nieslony (Black Market International) und anderen Künstler*innen gründete sie 2011 PAErsche, ein Aktionslabor, das sich auf Begegnung und Vernetzung als Gabe und Kooperation fokussiert. Seit 2013 ist sie Organisatorin der Performance-Kunstplattform INTERVAL. Marita Bullmann lebt und arbeitet in Essen.
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2019, Performance und Installation, mixed materials
Die digitale Manufaktur
Die Uniformität der uns umgebenden Objekte ist das Resultat einer automatisierten, seriellen Massenfertigung, die ihren Anfang in der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts nahm. Damit wurden Güter auch von hochwertigerer Qualität erstmals in großen Stückzahlen verfügbar. Ihre Gestalt und Erscheinung wird maßgeblich durch die eingesetzten Fertigungstechnologien geprägt. Das in einem vorangestellten Prozess erdachte und gestaltete Objekt wird in immer derselben Form mit gleichbleibender Qualität reproduziert. In diesem Kontext sind handwerkliche Tätigkeiten nicht mehr gestaltend, sondern dem Prozess dienend. Der Nutzer hat keinen Einfluss auf die Form. In der heutigen Zeit sind innovative Fertigungstechnologien wie 3D-Druck in der Lage, dieses Paradigma zu brechen. Sie erlauben die Produktion von individualisierten Produkten in großen Stückzahlen und die direkte Einbeziehung des Nutzers in den Gestaltungsprozess. Elemente des handwerklichen Schaffens können sich mit der digitalen Welt der Produktion verbinden und zu neuen Ausdrucksformen führen. Ähnlich disruptiv wie es die Technologien der industriellen Massenproduktion waren, werden die generativen Fertigungsverfahren maßgeblich prägend für unsere zukünftige Gesellschaft sein. Die „digitale Manufaktur“ bezieht die Besucher*innen direkt in den Schaffensprozess von „industriell“ gefertigten Objekten ein. Durch körperliche Interaktion mit der Maschine können sie die entstehenden Strukturen direkt beeinflussen. Ein digitaler Protokörper wird über Sensoren, die die Besucher*innen und die Umgebung erfassen, derart beeinflusst, dass ein Objekt von einzigartigem Phänotyp entsteht, das in einem 3D-Druckverfahren materialisiert wird. Jedes Objekt wird zu einem Unikat. Die herkömmliche Auffassung der Autorschaft eines Werks wird in Frage gestellt.Die „digitale Manufaktur“ ist ein künstlerisches Projekt einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Folkwang Universität der Künste, bestehend aus Steffen Hartwig, Prof. Stefan Neudecker und Daniel Wilkens.
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Weitere Veranstaltungen
Eine Veranstaltung der Folkwang Universität der Künste in Kooperation mit dem Ruhr Museum, der Stiftung Zollverein sowie in Zusammenarbeit mit der Klassik Stiftung Weimar, gefördert im Fonds Bauhaus heute der Kulturstiftung des Bundes